
Verkehrssenator Anjes Tjarks
Der Hamburger Senat hat sich ambitionierte Ziele für die Mobilität von morgen gesetzt. Dr. Anjes Tjarks, Senator für Verkehr und Mobilitätswende, erklärt, was das konkret bedeutet und welchen Beitrag die Wohnungswirtschaft leisten kann.
Die Mobilitätswende ist ein wichtiges Zukunftsprojekt für Deutschland. Welche Weichenstellungen sind notwendig, damit Hamburg seinen Teil beitragen kann?
ANJES TJARKS: Das Stichwort »Weiche« ist da ganz treffend. Hamburg ist ein Drehkreuz für den regionalen, nationalen und internationalen Schienenverkehr und den steigenden Kapazitätsanforderungen der Zukunft müssen wir Rechnung tragen. Das äußert sich lokal zum Beispiel beim Bau der U5 oder der S4 nach Bad Oldesloe, aber auch im Fernverkehr beim Umbau des Hauptbahnhofs, an dem in 20 Jahren 200.000 zusätzliche Fahrgäste pro Tag erwartet werden.
Paris arbeitet an der Umsetzung der 15-Minuten- Stadt. Das Ziel: Alle Wege des Alltags sollen innerhalb von 15 Minuten per Fahrrad oder zu Fuß möglich sein. Ist das auch ein Modell für Hamburg?
ANJES TJARKS: In vielen Stadtteilen ist das bereits Realität, da wir in Hamburg glücklicherweise eine sehr gute Nahversorgung genießen dürfen. In erster Linie ist das aber auch eine Frage, die Stadtentwicklung und Stadtplanung betrifft. Als Verkehrsbehörde arbeiten wir mit allen Partnern daran, durch den Bau und die Sanierung von Radund Fußwegen, dass sich die Menschen im gesamten Stadtgebiet möglichst komfortabel und schnell auch ohne eigenes Auto fortbewegen können. Außerdem verfolgen wir mit dem Hamburg-Takt das Ziel, dass perspektivisch überall in Hamburg binnen weniger Fußminuten ein öffentliches Verkehrsangebot erreichbar ist.
Sie waren bei der Eröffnung des BVE-Mobilitätshubs am Heidrehmen in Iserbrook zu Gast. Der BVE möchte in Zukunft noch mehr Quartiere mit Mobilitätshubs ausstatten. Auf welche Weise unterstützt die Stadt Hamburg solche Vorhaben?
ANJES TJARKS:Erst einmal freue ich mich sehr darüber, dass der BVE die Initiative ergreift und selbst die Mobilität von morgen mitgestaltet. Das gilt auch für andere Hamburger Projekte und Initiativen, die auf die Stadt zukommen und etwas verändern wollen. Ich sehe es als Aufgabe der Verwaltung, die Planung dann wohlwollend und konstruktiv als Partnerin zu begleiten, um eine schnelle Umsetzung zu ermöglichen.

Viel Stauraum
Die Lastenräder am Mobilitätshub
bieten viel Platz für
Einkäufe und Transporte
Welche anderen Ansätze gibt es, um die Sektoren »Gebäude« und »Verkehr« bei der Energiewende miteinander zu verbinden?
ANJES TJARKS: Der Anteil der Elektromobilität wächst zunehmend und es wird – nicht nur deshalb – für die kommenden Dekaden ein sehr hoher Strombedarf prognostiziert. Um etwas davon abzufangen, gilt für Neubauten in Hamburg ab 2023 die Pflicht, eine Photovoltaikanlage aufs Dach zu setzen. Verbunden mit Ladestationen am eigenen Haus oder in der Tiefgarage kann so die Energieversorgung und zeitgleich die Ladeinfrastruktur dezentralisiert werden.
Wird es in Zukunft noch notwendig sein, bei jedem Wohnungsneubau auch Pkw-Stellplätze zu errichten?
ANJES TJARKS: Die Stellplatzpflicht bei Neubauten gibt es in Hamburg ja bereits seit 2013 nicht mehr, was aber keine Aufforderung ist, das Auto im öffentlichen Raum zu parken und diesen zu überlasten. Den Platz brauchen wir nämlich für den Umweltverbund, wenn wir unsere Klima- und Mobilitätsziele erreichen wollen: Bis 2030 sollen 80 Prozent der Wege in Hamburg mit Bus, Bahn, mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden. Um dahin zu kommen, brauchen wir insgesamt weniger Pkw und weniger Parkplätze und wenn man doch mal ein Auto braucht, kann der Bedarf immer leichter durch Sharing-Angebote, Mobilitätshubs wie beim BVE oder auch die switch-Punkte des HVV gedeckt werden.
Wie stellen Sie persönlich sich den Verkehr in der Hamburger Innenstadt in zehn Jahren vor?
ANJES TJARKS: Der Verkehr in zehn Jahren ist zügig, aber auch – und das muss kein Widerspruch sein – entspannt und komfortabel. Wir fangen an, indem wir den knappen Straßenraum neu aufteilen und den umweltfreundlichen Verkehrsmitteln mehr Platz geben. Wenn der einzelne Verkehrsteilnehmer oder die einzelne Verkehrsteilnehmerin weniger Verkehrsfläche einnimmt, wird dadurch der Verkehrsfluss insgesamt verbessert. Das funktioniert zum Beispiel über neue Busspuren oder breite, sichere Rad- und Fußwege. Und natürlich über ganz neue Strecken, die erst noch gebaut werden: die U5, die Verlängerung der U4, neue Buslinien und Tangentialverbindungen. Zunehmenden Einfluss hat auch die Digitalisierung. Sie ermöglicht in Zukunft, jederzeit spontan das passende Fahrzeug oder ÖPNV-Angebot zu nehmen. Das kann für die kurze und mittlere Strecke das StadtRAD oder der Bus sein, zum Lastentransport vielleicht aber auch ein elektrisches Carsharing- Angebot oder ein On-Demand-Shuttle. In jedem Fall muss man sich nicht lange überlegen, wie man von A nach B kommt, sondern verlässt einfach das Haus und bucht oder bestellt sich das gewünschte Gefährt in unmittelbarer Umgebung.
Dr. Anjes Tjarks im Interview auch als